08. MAI 1998
Leezen. Im Warenlager der Raiffeisenbank Leezen in der Raiffeisenstraße hat sich ein schwerer Säure-Unfall ereignet. Bis zu 800 Liter der gefährlichen Flüssigkeit Propionsäure sind ausgelaufen, als beim Umfüllen ein Schlauch platzte. Ein Mann wurde verletzt. Er mußte mit Hautverätzungen in ein Krankenhaus nach Kiel gebracht werden. Die Feuerwehr, die erst mit einem Tag Verzögerung eher beiläufig alarmiert worden war, setzte über 40 Mann ein. Mit schweren Atemschutzgeräten ausgerüstet betraten sie die Halle und banden die Flüssigkeit. Die Umgebung wurde in Luv-Windrichtung weiträumig abgesperrt, damit die Dämpfe nicht von Passanten eingeatmet werden. Außerdem sind die unmittelbaren Anwohner benachrichtigt worden. Sie sollten Fenster geschlossen halten.
Der Unfall hatte sich bereits am Donnerstag gegen 16 Uhr ereignet. Ein Mitarbeiter wollte die Säure umfüllen. „Dabei ist wohl der Schlauch geplatzt oder abgerutscht“, vermutet Gerd Rathje, Leiter des Raiba-Warengeschäftes. Ein Arbeiter wurde verletzt und mußte ins Krankenhaus nach Kiel gebracht werden. „Es geht ihm schon wieder besser“, berichtete Rathje gestern im SZ-Gespräch. Er werde aber wohl noch einige Tage im Krankenhaus bleiben müssen.
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Unterdessen hatten andere Raiba-Beschäftigte versucht, mit Bordmitteln den Schaden zu beheben. „Wir haben Kleie eingesetzt, um die Flüssigkeit aufzufangen“, erzählten sie. Die Säure hatte sich über das Erdgeschoß ergossen und war auch in den Keller gelaufen, berichteten Feuerwehrleute. Nach einigen Versuchen ließen die Raiba-Leute die Arbeit ruhen. Es hatten sich Gase gebildet. Um sie abziehen zu lassen, wurden über Nacht die Fenster geöffnet.
Dies half aber nicht. Als am Freitag morgen sich die Lage nicht gebessert hatte, mußte Rathje eingestehen: „Mit eigenen Mitteln haben wir das nicht geschafft. Wir haben die Gase unterschätzt.“ Er wählte den Feuerwehr-Notruf und wollte nach eigenen Worten eigentlich nur „auf dem kleinen Dienstweg“ einen Tip der Leitstelle und zudem zwei, drei Feuerwehrleute mit Atemschutzgeräten ordern. Die Leitstelle wertete den Fall anders. Sie alarmierte umgehend die Gemeindewehr Leezen, den ABC-Zug, der günstigerweise schräg gegenüber vom Raiba-Gelände seinen Standort hat, und den Löschzug Gefahrgut aus Kaltenkirchen.
Raiba-Warenleiter Gerd Rathje wunderte sich über den Aufmarsch. Das Ganze sei „überzogen.“ Mit der Säure werde seit 30 Jahren hantiert, jeder zweite Bauer setze sie ein.
Die Feuerwehr wiederum wunderte sich über die späte Alarmierung. „Darüber lacht hier keiner“, meinte Gerhard Tollschnibbe, Wehrführer in Leezen.
Reinhard Nass vom Kreis-Umweltamt mochte den Schadensfall nicht so hoch hängen, warnte aber: „Wenn Sie die Dämpfe ein paar Stunden einatmen, können wir Sie beerdigen.“ Der Boden in der Halle sei dicht, Grundwasser nicht gefährdet.
Auch die Polizei Leezen schaute sich um. Sie prüfte, ob gegen Chemikaliengesetze und Gefahrgutverordnung verstoßen wurde. „Ein Straftatbestand liegt sicherlich vor“, so ein Beamter zur SZ.
Zu der Menschenansammlung vor der Lagerhalle stieß gestern nachmittag auch der verwunderte Offizier Peter Templin. Am Freitag sollte ein großes Manöver im Raum Leezen starten. Als Gefechtsstand der Kompanie war eben das Raiba-Lager vorgesehen. 30 Soldaten sollten dort Quartier beziehen. „Das geht nun nicht, das ist Pech,“ zuckte Templin mit den Schultern. „So ist halt das wirkliche Leben.“
Quelle: Segeberger Zeitung
erschienen am 9. Mai 1998
Propionsäure
Propionsäure ist eine wasserklare, nach Essig riechende Flüssigkeit. Sie wird unter anderem unter dem BASF-Markennamen Luprosil verkauft.
Es ist ein gängiges Mittel in der landwirtschaftlichen Produktion und wird etwa dem Schweineschrot beigesetzt. Angeblich soll er den Tieren dann besser schmecken. Außerdem hilft die Säure gegen Durchfall bei den Schweinen und tötet Pilze im Schrot ab. Die Säure wird auch für nasses Getreide genutzt, um es zu konservieren, erläutert Gerd Rathje, Warenleiter der Raiba in Leezen.
Das „Handbuch der gefährlichen Güter“, das die Feuerwehr nutzt, warnt: Propionsäure „reizt sehr stark die Augen und die Atmungsorgane. Kehlkopfödem und Lungenödem, auch mit Verzögerung, ist möglich.“ Der Kontakt mit der Flüssigkeit führt zu Verätzungen. Personen müssen aus der Windfahne der Gase ferngehalten werden. Wer die Gase in konzentrierter Form mehrere Stunden lang einatmet, kann daran sterben, sagt das Kreis-Umweltamt.
Quelle: Segeberger Zeitung
erschienen am 9. Mai 1998